War sie’s oder nicht?
DER SCHAUERLICHE MÜNCHHAUSEN-PROZESS
Eine 25-jährige Delmenhorsterin, die möglicherweise das Münchhausen-by-proxy-Syndrom hat, muss sich derzeit vor dem Landgericht Oldenburg verantworten: Sie soll ihrem Baby zahlreiche Knochen gebrochen haben. Nach mehreren Verhandlungstagen und der Befragung einiger Verdächtiger ist jedoch immer noch unklar, ob sie es wirklich war.
Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom, auch Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom genannt, ist eine psychische Störung, bei der die Betroffenen anderen Personen Schaden zufügen, um dadurch selbst Aufmerksamkeit zu bekommen. Genau diese Störung könnte die 25-jährige Charlotte R. aus Delmenhorst haben, denn ihr damals zwei Monate altes Baby Jonas wurde vor etwa zwei Jahren mit zahlreichen Knochenbrüchen ins Klinikum Delmenhorst eingeliefert. Dort reagierte man schnell: Charlotte R. wurde ihr Kind entzogen. Jetzt muss sie sich vor Gericht für die Taten verantworten, hat aber bisher noch nicht ausgesagt. Ihre Anwälte Dr. Corina Seiter und Ralf Colin Tutz stärken ihr jedoch den Rücken: „Als Mutter würde ich so einen Fall nicht übernehmen, wenn ich nicht von ihrer Unschuld überzeugt wäre“, so Seiter. Auch die Mutter der Angeklagten und ein gemeinsamer Freund des Ehepaares stehen unter Verdacht.
Schwere Kindheit
Die Angeklagte soll schon in ihrer Kindheit verhaltensauffällig gewesen sein und unter einer anscheinend kontrollsüchtigen Mutter gelitten haben, zudem verbrachte sie als Jugendliche sogar einige Zeit im Wichernstift. Einer Untersuchung durch den Gerichtspsychologen hat die Angeklagte sich bisher nicht unterzogen, will das aber bis zum nächsten Verhandlungstermin nachholen. Bis dahin soll festgestellt werden, ob sie das Münchhausen-by-Proxy-Syndrom hat oder nicht, damit am 21. Januar auch endlich das Urteil gesprochen werden kann. Vorab hat sie sich jedoch von der Delmenhorster Psychotherapeutin Britta Burke untersuchen lassen. Die stellte nach Aussage von Anwältin Dr. Corina Seiter fest, dass Charlotte R. der Rolle als Mutter generell nicht gewachsen sei. Dass sie ihr eigenes Kind misshandelt habe, glaube sie jedoch nicht.
Erlitt Jonas ein Schütteltrauma?
Am 18. Dezember äußerten sich Dr. Almut Helvogt, leitende Ärztin der Röntgenabteilung im Klinikum Delmenhorst, und Dr. Günter Schroeder vom Institut für Rechtsmedizin in Hannover zu dem Fall. Fazit: Zum Zeitpunkt der Aufnahme im Krankenhaus waren die Rippen des Babys schon länger gebrochen, die Brüche in Armen und Beinen waren frischer. „Das spricht dafür, dass es ein mindestens zweizeitiges Geschehen sein muss“, erklärte Helvogt. Dr. Günther Schroeder erläuterte, wie es zu den Verletzungen gekommen sein könnte. „Diese Rippenfrakturen sind typisch für Kinder, die am Brustkorb brüsk angefasst wurden“, sagte Schroeder. Es sei allerdings möglich, dass Jonas auch stark geschüttelt wurde. Wen auch immer der Richter für die Verletzungen verantwortlich machen wird, ihr Ausmaß ist Schroeder zufolge erschütternd: „Das Gesamtbild der Verletzungen in so einem Umfang habe ich zum ersten Mal gesehen.“