„Der Bürger muss geschützt werden“ – Gespräch mit MdB Susanne Mittag, stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungs-ausschuss
Die örtliche Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag (SPD) ist stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Mit dem Deldorado sprach sie über die Folgen des Abhörskandals und eine mögliche Vernehmung von Edward Snowden.
Frau Mittag, als Bundesbürger muss man befürchten, vom Geheimdienst NSA abgehört zu werden. Benutzen Sie noch ihr privates Smartphone?
Ja.
Hat sich ihr Kommunikationsverhalten gar nicht verändert?
Es war eher ein Gag, die Frage so kurz zu beantworten. Im Ausschuss haben wir festgestellt, dass Daten massenhaft abgefischt und gespeichert werden, aber nicht zwingend abgehört. Da kommen sogar die US-amerikanischen Geheimdienste nicht hinterher, diese unwahrscheinliche Menge an Daten zu verarbeiten. Aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit. Wenn man allein das Investitionsvolumen der Amerikaner sieht, werden sie irgendwann diese Daten auch besser auswerten können.
Das heißt, die Amerikaner speichern derzeit deutlich mehr, als sie überhaupt auswerten können?
Ja, noch können sie die Daten nicht so verarbeiten wie sie es gern hätten. Sie investieren viel Geld, um alle Daten zu verarbeiten und auch zu vernetzen, um zum Beispiel Bewegungsbilder zu erstellen. Das ist erschreckend, denn früher oder später werden sie mit den Daten etwas anfangen können. Und das ist so ein Punkt, von dem wir sagen: Dagegen muss man vorgehen.
Gibt es denn nun Veränderungen in Ihrem Kommunikationsverhalten?
Nicht großartig. Da ich aber stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss bin, werde ich mein Handy überprüfen lassen, ob versucht wurde es zu hacken, was mich wiederum nicht wirklich überraschen würde.
Stimmt es, dass alle NSA-Ausschussmitglieder ein Kryptohandy, also eins mit Verschlüsselung, bekommen haben?
Nicht die Stellvertreter, sondern die eigentlichen Ausschussmitglieder. Wobei bei Kryptohandys das eigentliche Problem ist, dass man abhörsicher nur mit jemandem telefonieren kann, der auch ein Kryptohandy hat. Das ist ein Einstieg in die Technologie, aber das kann es noch lange nicht gewesen sein. Da muss man viel intensiver vorgehen.
Was müsste passieren?
Der Ausschuss hat ein Umdenken forciert mit dem Tenor: Solch ein Ausspionieren darf man nicht mehr hinnehmen. Es ist schade, dass im letzten Jahr behauptet wurde, die Affäre sei beendet. Nein, die ist noch lange nicht beendet. Sie ist der Einstieg in ein größeres, nötiges Umdenken.
Was könnte daraus am Ende resultieren?
Der Untersuchungsausschuss hat eine ziemlich eng definierte Aufgabe, nämlich herauszufinden: Wer hat wann was mit wem abgehört? Bei diesem Ansatz kommt mir mein früherer Polizeiberuf zugute, denn das ist eine klassische Ermittlungsarbeit. Es gilt zu klären, was ist überhaupt in welchem Rahmen passiert? Welche verfassungsrechtlichen Grundlagen haben wir? Für Amerika, einem Einwanderungsland, ist die Freiheit das Wichtigste. In Deutschland sind die Grundrechte nach einem verheerenden Krieg aus einer gewissen Erfahrung heraus entstanden. Bei uns steht an allererster Stelle: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist ein ganz anderer Ansatz als bei den US-Amerikanern. Und daher denken sie auch anders.
Konkret bedeutet das was?
Das bedeutet, dass der deutsche Bürger, auch wenn er im Ausland ist, vor Repressionen des Staates geschützt werden muss. Das Grundrecht schützt den Bürger vor dem Staat. Wenn jetzt aber ein anderer Staat den deutschen Bürger „angreift“, dann hat dieses Grundrecht auch die Funktion, den Bürger vor diesem anderen Staat zu schützen. Also, selbst wenn wir keine Strafbarkeit nachweisen können, – wir werden am Ende wohl kaum einen Strafbefehl an Obama schicken – hat der Staat trotzdem die Aufgabe, alle deutschen Bürger vor diesen Zugriffen zu schützen. Also muss er tätig werden. Und ich finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es ist keine Affäre und es ist nicht beendet.
Was ist zu tun?
Es geht darum herauszufinden, wo genau abgehört wird und wo die Daten abgenommen werden, also über Satelliten oder transatlantische Kabel. Es wird nicht nur die Sache des Staates und der Bundesregierung sein etwas zu ändern, sondern die aller Bürger.
Die Bürger sollen etwas ändern?
Ja, unser Verhalten im Umgang mit unseren eigenen Daten muss sich auch ändern. Aber der Staat muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es möglichst einfach zu handhaben ist. Wir können nicht erwarten, dass jeder seine SMS mit einer endlosen Reihe von Zahlen verschlüsselt, das ist technisch auch anders möglich. Aber da muss seitens der Wirtschaft und des Staates auch investiert werden, damit es für den Endverbraucher möglichst einfach wird. Und diese Diskussion hat sich schon in der Startphase des Ausschusses ergeben und das finde ich gut: Erstens: Das Ausspionieren ist nicht in Ordnung, um es mal milde zu formulieren. Zweitens: Das müssen wir uns nicht gefallen lassen. Drittens: Es ist ein Thema in Europa, nicht nur in Deutschland. Wir haben die Möglichkeiten, es zu ändern. Dafür ist zwar ein Investitionsvolumen nötig, aber das gibt es in anderen Bereichen, etwa den erneuerbaren Energien ja auch.
Bei der Aufklärungsarbeit könnte Ihnen Edward Snowden sicher helfen.
Ja, aber die anderen 100 Zeugen auch. Herr Snowden ist ein Zeuge, ja, aber ich denke, der arme Mann wird von einigen Leuten instrumentalisiert. Es gibt im Ausschuss über 150 Sachanträge, darüber wird in der Öffentlichkeit nicht gesprochen. Wir haben Thomas Drake und William Binney da gehabt, zwei ehemalige Mitarbeiter der NSA, die interessante Dinge über deren Grundverständnis gesagt haben. Wir hatten verschiedene IT-Experten da, Sandro Gaycken von der FU Berlin, jemanden vom Fraunhofer-Institut und vom Chaos-Computer-Club. Alle drei sind befragt worden und sie haben offen geantwortet und die Möglichkeiten gegenzusteuern aufgezeigt. Es war eine öffentliche Sitzung, darüber hätte ich mir mehr Berichte in den Zeitungen gewünscht. Natürlich wollen wir auch alle Edward Snowden als Zeugen hören.
Aber die Frage ist: Wo?
Nein, die Frage ist: Wie? In über 20 Ländern hat Herr Snowden Asyl beantragt. Dass das Thema sehr empfindlich von den Amerikanern gesehen wird, hat man mitgekriegt, als der bolivianische Präsident Morales in Wien notlanden musste, weil man dachte, Edward Snowden sei an Bord. Es gibt einen amerikanischen Haftbefehl gegen Herrn Snowden sowie in Deutschland ein Auslieferungsabkommen mit den USA. Ich persönlich finde: Das ist ein junger Mann von 30 Jahren. Macht sich überhaupt mal jemand Gedanken, wie er seine nächsten 40, 50 Jahre verlebt?
Inwiefern?
Wenn er seine Aussagen macht, nach amerikanischer Auffassung zum Schaden der Amerikaner, wie sicher ist danach eigentlich sein Leben? Darum muss man sich Gedanken machen. Das ist wie bei einer Kronzeugenregelung. Zudem verhandelt er über seine Rechtsanwälte mit den USA, denn er möchte gern wieder zurück. Noch kann er sagen: Ich habe nicht ausgesagt. Nach einer Aussage hätte er gar keine Verhandlungsbasis mehr. Und er will weder sein Leben in Russland noch hier verbringen. Die Verhandlungsmöglichkeit muss man ihm doch lassen. Deswegen haben wir nicht gesagt, wir wollen den nie hören, sondern mal gucken, wie sich das entwickelt. Das läuft uns nicht weg. Wir werden zwei Jahre lang tagen. Man muss auch an den Menschen denken.
Wenn Sie im Ausschuss jemanden befragen, läuft das öffentlich?
Ja, das ist öffentlich und findet im Bundestag statt. Da sitzen auch eine ganze Reihe von Journalisten und es wird auch im Bundestags-Livestream übertragen. Nur maximal fünf Prozent unserer Tagungen fanden geheim in einem anderen Raum statt.
Und da lief Musik im Hintergrund…
Musik? Im Raum habe ich keine Musik gehört.
Zumindest steht das so bei Wikipedia.
Wir haben keine Musik gehört.
Es ist auch nachzulesen, dass sie ihre Handys in eine Metallkiste packen mussten.
Die Laptops und Handys haben wir tatsächlich alle in eine Kiste gepackt, weil die Handys dauernde Abhörgeräte sind. Sobald die an sind, ist es möglich, dass Daten im Rücklauf sind
Kritiker sagen: Es kann die Politik doch nicht wirklich überrascht haben, dass der Geheimdienst eines anderen Staates versucht, an noch mehr Informationen zu kommen.
Zu diesen Kritikern gehöre ich auch. Es kann ja nicht wirklich die Überraschung sein, doch beide Varianten sind ein bisschen betrüblich. Wenn es die Regierung nicht wusste, sagt man: Wie kann das denn angehen? Und wenn sie es wussten und nichts gemacht haben, ist das Ergebnis genauso betrüblich. Darüber wird man noch reden müssen, aber erst einmal reden wir darüber, wie der Sachstand ist und welche Ausmaße das Ausspähen wirklich angenommen hat. Und dann können wir sagen: Was müssen wir ändern, auf rechtlicher, organisatorischer und auch technischer Seite.